Ausstellung "Female Remains – Frauenschicksale und die Vermessung der Geburt"
Kultur Ausstellungen
Die Medizin- und Pharmaziehistorische Sammlung in Kiel zeigt eine außergewöhnliche Ausstellung. "Female Remains" erzählt die Geschichten von Frauen, die zwischen 1844 und 1873 im Kieler Gebärhaus starben. Ihre Beckenskelette dienten jahrzehntelang der medizinischen Forschung – ohne ihr Einverständnis.

Forschung an verstorbenen Patientinnen
Im Mittelpunkt der Ausstellung stehen historische Körperpräparate. In einem eigenen Raum hängen nummerierte, krankhaft veränderte Beckenskelette in einem Vitrinenschrank. Die Kieler Professoren Gustav Adolph Michaelis und Carl Conrad Theodor Litzmann erforschten zwischen 1830 und 1880 an diesen Präparaten, wie die Form des weiblichen Beckens den Geburtsverlauf beeinflusste.
"Die Beckenskelette stammen von mittellosen, unverheirateten Frauen, die das Kieler Gebärhaus aufsuchten, um kostenlose Geburtshilfe zu erhalten", erklärt Museumsleiterin Eva Fuhry. Diese Frauen hatten keine andere Wahl – sie waren auf die kostenlose Behandlung angewiesen.
Der überwiegende Teil der Geburten verlief damals wie heute problemlos. Nur bei etwa drei Prozent aller Geburten in der Gebäranstalt traten Komplikationen auf, die Ärzte zu damaliger Zeit nicht behandeln konnten. Eine starke Beckendeformation gefährdete das Leben von Mutter und Kind allerdings in hohem Maße.
Biografien statt anonymer Präparate
Verstarb eine Patientin, wurde sie obduziert. Für die Forschung interessante Beckenskelette entnahmen die Ärzte und bewahrten sie auf. Der Leiter des Gebärhauses war dazu berechtigt, und es war wichtig für ein rückblickendes Verständnis des Geburtsverlaufes. Im 19. Jahrhundert konnte man nur in einen toten Körper hineinsehen.
"Man muss aber davon ausgehen, dass es gegen den Willen der verstorbenen Frauen geschah", sagt Fuhry. Die Ausstellung "Female Remains" ergänzt die Präparate nun erstmals durch die Biografien der Verstorbenen.
Dr. Christian Hoffarth machte diese Aufarbeitung möglich. Der Historiker und Personenforscher folgt seit 2012 in Kirchen- und Kommunalarchiven den Spuren der im Kieler Gebärhaus verstorbenen Schleswig-Holsteinerinnen und ihren Kindern. Grundlage seiner Arbeit sind die ab 1806 vollständig erhaltenen Aufnahmebücher der Gebäranstalt.
Harte Arbeit führte zu Rachitis
Das Ausstellungsteam wählte fünf Frauen aus, die eine für die Patientinnen der Gebäranstalt typische Biografie aufweisen. Die Lebensumstände dieser Mägde und Arbeiterinnen werden handfest beleuchtet. Wie schwer eine Milchmagd zu tragen hatte, dürfen die Besucher selbst austesten.
Für jede der fünf Frauen stellt die Ausstellung den Verlauf der jeweiligen Entbindung dar. Die Geburten waren für die Frauen problematisch, denn sie litten in ihrer Kindheit an Rachitis. Die mangelhaft mit Kalzium versorgten Knochen blieben weich und verformten sich unter dem zunehmenden Gewicht des Körpers. Ihre Beckenknochen waren schließlich so verengt oder eingeknickt, dass sie als erwachsene Frauen kein Kind auf natürlichem Wege zur Welt bringen konnten.
Medizinethik damals und heute

Ab 2016 wertete der Medizinhistoriker Dr. Ulrich Mechler in einem von der VW-Stiftung finanzierten Forschungsprojekt die erhaltenen Journale der Geburtsverläufe aus. Er erarbeitete daraus eine Geschichte der geburtshilflichen Beckenforschung, wie sie maßgeblich von Michaelis und Litzmann in Kiel vorangetrieben wurde.
Akribisch und sachlich notierten die Ärzte in ihren Journalen jeden Geburtsverlauf – gegebenenfalls bis hin zum Tod der Mutter. "Es ist manchmal schwer auszuhalten, wenn man liest, wie die Ärzte verzweifelt versucht haben, der Mutter und dem Kind zu helfen", sagt Fuhry. "Man hat die Frauen aber auch nicht nach ihren eigenen Wünschen gefragt, weil man ihnen den notwendigen Sachverstand absprach. Der Arzt traf eine patriarchale Entscheidung."
Perspektivwechsel durch gelbe Spiegel
In der Ausstellung finden sich überall gelbe Spiegelflächen, die zu einem Perspektivwechsel auffordern. "Wir laden die Besucher ein, sich in die Rolle des Geburtshelfers, der Hebamme oder einer Patientin zu begeben", sagt Fuhry. Wie würdest du entscheiden? Wen retten: Mutter oder Kind? Damals wie heute gibt es auf viele Fragen in lebensbedrohenden Situationen keine einfachen Antworten.
Der letzte Ausstellungsraum führt in die Gegenwart. Die Patientinnen der Gebäranstalt im 19. Jahrhundert waren, freiwillig oder gegen ihren Willen, infolge eines außerehelichen Geschlechtsverkehrs schwanger geworden. Damit galten sie als Straftäterinnen und büßten nach damaligem Recht die Selbstbestimmtheit über ihren Körper ein.
Heute haben die Entscheidungsautonomie von Patienten und die Achtung des Patientenwillens, auch über den Tod hinaus, eine hohe Priorität. Die Ausstellung möchte das Bewusstsein für medizinethische Fragen schärfen. Am Schluss gibt es eine Feedback-Station, bei der das Museum ein Meinungsbild zum angemessenen Umgang mit der Körperpräparate-Sammlung in unserer Zeit einholen möchte.