Die St. Nikolai Kirche in Kiel

Die St. Nikolai Kirche ist das älteste Gebäude Kiels und die evangelische Hauptkirche der Stadt. Sie steht am Alten Markt und blickt auf eine bewegte Geschichte zurück, die von Bränden, Kriegen und Wiederaufbau geprägt ist. Über 750 Jahre lang prägt sie das Stadtbild Kiels und war bis 1875 die einzige Pfarrkirche der Stadt.

Ein großer Kirchturm in der Kieler Innenstadt mit Menschen im Vordergrund
Die Kieler St. Nikolai Kirche in der Innenstadt, © Landeshauptstadt Kiel

Entstehung nach der Stadtgründung

Der Bau der Nikolaikirche begann kurz nach der Stadtgründung durch Adolf IV. von Schauenburg und Holstein um 1242. Die Kirche entstand als dreijochiges Backstein-Langhaus mit dreiseitig freistehendem Turm direkt am Alten Markt. Etwa hundert Jahre später bauten die Kieler die gotische Hallenkirche nach dem Vorbild der Petrikirche in Lübeck grundlegend um.

Die Architekten erhöhten das Dach wesentlich und schufen unter diesem einen durchgängigen gotischen Langchor. Sie erhielten eine imposante Backsteinhallenkirche mit einem dreischiffigen, nahezu quadratischen Langhaus und einem einschiffigen Chor. Der ebenfalls erhöhte Turm wurde jetzt vom Dach teilumschlossen und erhielt ein Spitzdach mit vier angefügten Ecktürmen. Diese Gestaltung bestimmt seither Kiels mittelalterliches Stadtbild.

Frühe Katastrophen und Wiederaufbau

1486 schlug das Schicksal erstmals zu: Ein Blitzschlag setzte die Kirche in Brand und zerstörte sie vollständig. Die Kieler bauten ihre Hauptkirche wieder auf. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts integrierten die Baumeister den Turm durch den Anbau der Rat- und der Rantzaukapelle vollständig in den Kirchenbau. Diese Erweiterungen verliehen dem Gotteshaus seine charakteristische Form.

Reformation und religiöse Unruhen

1526 führte Marquard Schuldorp die Reformation an die Nikolaikirche und leitete damit eine neue Ära ein. Im folgenden Jahr kam der umstrittene Prediger Melchior Hofmann nach Kiel. Seine apokalyptischen Predigten sorgten für Aufruhr in der Stadt. Besonders seine Vorwürfe gegen die Honoratioren der Stadt, sie hätten sich am Kirchengut bereichert, führten zu Unruhen und gesellschaftlichen Spannungen.

Der katholische Stadtpfarrer Wilhelm Pravest, ein Augustiner-Chorherr vom Kloster Bordesholm, heizte den religiösen Streit zusätzlich an. Diese Zeit zeigt die Zerrissenheit der Reformationszeit und ihre Auswirkungen auf das städtische Leben in Kiel.

Dramatische Ereignisse im 18. Jahrhundert

Am 2. Februar 1771 ereignete sich ein tragisches und außergewöhnliches Unglück. Während eines Gottesdienstes traf ein Blitz den Turm der Kirche. Der Blitz fuhr, ohne zu zünden, direkt in die Kirche hinein. Der Archidiakon Meißner, der als Besucher am Gottesdienst teilnahm, wurde auf seinem mit Messingstäben versehenen Predigersitz so schwer verletzt, dass er wenige Tage später an den Folgen starb.

Bereits 1760 hatte die Kirche Glück im Unglück erlebt. Als das benachbarte Haus in der Schuhmacherstraße 7 brannte, flogen die Funken über den Nikolaifriedhof und entzündeten ein Feuer im Dachreiter der Kirche. Pfarrer Konrad Bruns bewies großen Mut und Geistesgegenwart. Da der Wasserstrahl der städtischen Feuerspritzen nicht bis zum Turm reichte, ließ er eine kleine Spritze auf den Dachboden schaffen. Dort löschte er persönlich mit dem Wasserrohr den entstehenden Brand und rettete so die Kirche vor größerem Schaden.

Propstei und bedeutende Geistliche

1811 richteten die kirchlichen Behörden die Propstei Kiel ein. Das Propstenamt wurde mit einem Pfarramt an der Kieler Nikolaikirche verbunden, was die Bedeutung der Kirche unterstrich. 1816 wurde Claus Harms Archidiakon und 1835 Hauptpastor und Propst. Von 1854 bis 1866 wirkte Karl Friedrich Christian Hasselmann als Hauptpastor an der Nikolaikirche.

Neugotische Umgestaltung im 19. Jahrhundert

Historisches Deckenkreuz an der Decke in der größten Kirche Kiels
Triumphkreuz von 1490 an der Decke in der St. Nikolaikirche in Kiel, © Kiel-Magazin

In den Jahren 1877 bis 1884 gestalteten Architekten die Kirche grundlegend im neugotischen Stil um. Sie erhielt eine völlig neue Fassade und wurde mit modernen Maschinenziegeln verblendet. Die im 17. Jahrhundert errichteten Begräbniskapellen am Chor wurden abgerissen, um Platz für die neue Gestaltung zu schaffen.

Im Inneren entfernten die Baumeister den mittelalterlichen Lettner, die Emporen und das alte Gestühl. Sie malten die Kirche dem Zeitgeschmack des 19. Jahrhunderts entsprechend aus. Diese Umgestaltung veränderte das Erscheinungsbild der Kirche erheblich und passte sie den damaligen Vorstellungen von Kirchenarchitektur an.

Kriegszerstörung und dramatische Rettung

Im Zweiten Weltkrieg traf die Kirche ein schweres Schicksal. Bei einem alliierten Luftangriff am 22. Mai 1944 wurde das Kirchengebäude schwer beschädigt. Der brennende Turmhelm und der Dachstuhl stürzten ein und durchschlugen alle Gewölbe des Mittelschiffs und des südlichen Seitenschiffs. Auch das Nordschiff wurde erheblich beschädigt.

Die wertvolle Innenausstattung konnte glücklicherweise in den Jahren zuvor in Sicherheit gebracht werden. Diese vorausschauende Maßnahme rettete jahrhundertealte Kunstschätze vor der Zerstörung. Wegen der akuten Einsturzgefahr der Ruine erfolgte 1948 die schwere Entscheidung zur Niederlegung der Chormauern und der Schiffspfeiler.

Wiederaufbau in moderner Form

Der Architekt Gerhard Langmaack leitete 1950 den Wiederaufbau der Kirche. Er baute sie zu großen Teilen in neuzeitlichen Formen und mit modernen Konstruktionen wieder auf. Statt der alten Gewölbe verwendete er Betonpfeiler und eine Stahlbetondecke. Die mittelalterlichen Gewölbe wurden bewusst nicht wiedererrichtet.

Der Außenbau erhielt ein schlichtes Satteldach, das alle drei Schiffe zusammenfasst. Diese vereinfachte Form unterschied sich deutlich von der ursprünglichen gotischen Gestaltung. 1986 renovierte der Kieler Architekt Peter Kahlcke die Innenräume grundlegend und gab ihnen ihr heutiges Erscheinungsbild.

Wertvolle Kunstschätze durch die Jahrhunderte

Historischer Erzväteraltar von 1460 in der größten Kirche Kiels mit mittelalterlicher Schnitzkunst
Der Erväteraltar in der Kieler St. Nikolaikirche, ©Kiel-Magazin

Die Erztaufe von Hans Apengeter aus dem Jahr 1344 ist das älteste erhaltene Kunstdenkmal der Nikolaikirche. Diese mittelalterliche Bronzetaufe entstand nach der Wismarer Taufe von 1331 und der Lübecker Taufe von 1337. Sie gehört zu den bedeutendsten Kunstwerken des niederdeutschen Kulturraums.

Der sogenannte Erzväteraltar um 1460 besteht aus 16 Tafeln mit 20 Schnitzreliefs aus dem Leben der Erzväter. Während der Fastenzeit zeigt er 16 Gemäldetafeln. Ursprünglich stand er in der Klosterkirche der Franziskaner und wurde nach der Reformation 1542 in die Nikolaikirche versetzt.

Weitere bedeutende Kunstwerke sind ein Triumphkreuz um 1490, ein spätgotisches Retabel mit der Taufe Christi um 1490 und ein spätgotischer Kruzifixus im Raum der Stille aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts.

Die barocke Holzkanzel von 1705 schuf der Künstler Theodor Allers. Henning von Wedderkop stiftete sie als Ersatz für eine Kanzel von 1522. Ein besonderes Zeichen der Versöhnung ist das älteste Nagelkreuz von Coventry in Deutschland aus dem Jahr 1947.

Der Geistkämpfer von Ernst Barlach

Der "Geistkämpfer" von Ernst Barlach hat eine bewegte Geschichte. Die Stadt Kiel gab die Bronzeplastik bei dem expressionistischen Bildhauer und Grafiker in Auftrag. Es war Barlachs erste Großplastik. Der schwertragende Engel auf dem wolfsähnlichen Wesen stellt die Erhabenheit und den Sieg des Geistes über das Böse dar.

1928 wurde die Skulptur an der Heiligengeistkirche am ehemaligen Franziskanerkloster ohne öffentliche Feier enthüllt. Das Kunstwerk stieß bei der Bevölkerung zunächst auf Ablehnung. Die namenlose Skulptur erhielt von den Kielern den Namen "Geistkämpfer", den auch der Künstler bald übernahm.

1937 entfernten die Nationalsozialisten die Plastik als entartete Kunst. Sie konnte jedoch vor dem Einschmelzen gerettet werden. Hugo Körtzinger, ein Freund Ernst Barlachs, versteckte sie in seinem Atelier in Schnega. Nach dem Krieg kaufte die Stadt den Geistkämpfer zurück. 1954 fand er seinen heutigen Platz an der Nikolaikirche.

Das imposante Glockengeläut

St. Nikolai besitzt das schwerste und tontiefste Geläut der Stadt Kiel. 1722 goss der Ratsgießer Lorenz Strahlborn in Lübeck eine neue Glocke für das Geläut. Diese Glocke mit dem Schlagton c' blieb als einzige der früheren Glocken im Turm erhalten.

1922 goss die Gießerei Schilling in Apolda drei neue Glocken mit den Schlagtönen g°, b° und d'. Die größte Glocke trägt den Namen "Auferstehungsglocke" und hat den Ton g°. Sie ist die größte und schwerste Glocke in ganz Schleswig-Holstein.

Alle vier Glocken überstanden den Zweiten Weltkrieg unbeschädigt und wurden nicht für die Metallspende eingeschmolzen. Sie läuten heute noch immer im Turm und rufen die Gläubigen zu den Gottesdiensten.

Die mächtige Hauptorgel

1965 schuf Detlef Kleuker aus Brackwede die heutige Hauptorgel mit drei Manualen und Pedal mit 45 Registern. Die Windladen wurden aus Kunststoff statt aus Holz gefertigt. Dies führte ebenso wie die Elektrifizierung zu technischen Mängeln. 1998 musste Ulrich Babel aus Gettorf die Orgel grundlegend renovieren. Eppo Rynko Ottes aus Barcelona intonierte die Orgel neu.

Offene Kirche für alle Menschen

Heute bezeichnet sich Kiels 750 Jahre alte Hauptkirche als Offene Kirche für alle Menschen. Besucherinnen und Besucher können das historische Gotteshaus von Montag bis Samstag von 10.00 bis 18.00 Uhr besichtigen und die jahrhundertealte Geschichte auf sich wirken lassen.

Regelmäßig finden klassische Konzerte in der St. Nikolai Kirche statt, die die hervorragende Akustik des Raumes nutzen. Die Kirche dient nicht nur als Ort des Gottesdienstes, sondern auch als kulturelles Zentrum der Stadt. Sie verbindet ihre lange Geschichte mit der Gegenwart und öffnet ihre Türen für alle Interessierten, unabhängig von ihrer Konfession oder Weltanschauung.

Ortsinformationen

Kieler St. Nikolaikirche
Alter Markt
24103 Kiel
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