Kindliche Fantasie wird durch das Lesen gefördert

Lesen soll Spaß machen. Bücher eröffnen Kindern – und natürlich auch Erwachsenen – andere Welten, lassen sie für Momente in das Reich der Fiktion eintauchen. Doch zunehmend erobern Fernsehen, Computer und Smartphones die Kinderzimmer. Sind Bücher da überhaupt noch wichtig?

Lesendes Kind, © Simone Peter / pixelio.de
Lesendes Kind, © Simone Peter / pixelio.de

"Auf jeden Fall!" betont Christine Kranz von der Stiftung Lesen in Mainz, "weil Bücher den Kindern viel stärker die Möglichkeit zur Kommunikation mit den Eltern lassen als die elektronischen Medien. Mit dem Fernsehgerät können sie sich nicht austauschen." Dazu komme, so die Referentin für Leseförderung, dass beim Lesen Bilder im Kopf entstehen und nicht per Knopfdruck geliefert werden würden. "Das fördert die Fantasie!"

Ein weiterer großer Vorteil: Das Buch kann sich dem Kind anpassen. Beim Lesen wird, anders als beim Fernsehen, kein Tempo für das Erfassen der Geschichte vorgegeben. Das Kind kann sie ganz in seinem eigenen Rhythmus verfolgen, zurückblättern und nachlesen.

Von Geburt an fördern

Um Kinder an die Welt der Bücher heranzuführen, ist es entscheidend, dass Eltern so früh wie möglich damit anfangen, ihnen vorzulesen, und zwar von Geburt an. Für Babys eignen sich beispielsweise Pappbilderbücher, die sie in den Mund nehmen oder herunterwerfen können. Und das wasserfeste "Plantschbuch" darf sogar mit in die Badewanne. "Lieder, Reime und Fingerspiele vermitteln den Kleinsten ein Gefühl für Rhythmus und Sprache", sagt die Expertin, die seit mehr als 20 Jahren Kinder und Eltern für Bücher begeistert. "Das sind erste Schritte der Leseförderung."

"Lesestart – Drei Meilensteine für das Lesen" ist ein Programm zur Sprach- und Leseförderung, das schon die Kleinsten in den Fokus nimmt und möglichst früh ihren Spaß an Büchern und Geschichten wecken will. Es wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung finanziert und von der Stiftung Lesen durchgeführt. Es hält drei Mal ein Lesestart-Set mit Tipps rund ums Vorlesen bereit sowie ein Buchgeschenk.

Kleinkinder und Medien

Dass Vorlesen bei weitem nicht in jeder Familie üblich ist, zeigt eine brandaktuelle Vorlesestudie nach der in etwas mehr als 30 % der deutschen Haushalte den Kindern wenig oder gar nicht vorgelesen wird. Das Ergebnis passt zu den Resultaten einer repräsentativen Studie des Medienpädagogischen Forschungsverbandes Südwest, nach der im vergangenen Jahr 38 % der Vier- bis Fünfjährigen das Fernsehen zu ihren Vorlieben zählten. Dagegen ließen sich 47 % der Kleinen, der Zwei- und Dreijährigen, noch besonders gern Vorlesen oder schaute Bücher an, bei den Vier- bis Fünfjährigen mochten das nur noch 17 %. Dabei bietet Bücherlesen neben den eingangs genannten Vorteilen eine spielerische Förderung von Konzentration und Gedächtnis und bereichert den Wortschatz.

Nicht zu vergessen die soziale Komponente, die Bücher vermitteln. So lernt ein Kind in Geschichten, in denen es Mitleid oder Hilfsbereitschaft der Figuren erfährt, Empathie, Mitgefühl für andere. "Man merkt im Kindergarten sofort, welchen Kindern Zuhause vorgelesen wird und welchen nicht." Die Kinder, die das Vorlesen nicht kennen, sind oft eher unruhig, können nicht zuhören, sich nicht konzentrieren.

Fünf Minuten täglich vorlesen

Doch wie kriegt man seinen Nachwuchs an das Buch? "Hilfreich ist zum Beispiel ein tägliches Vorlese-Ritual, immer zur gleichen Zeit am selben Ort. So wird das Lesen ein fester Bestandteil des Alltags und von den Kindern auch später als eine schöne, bereichernde Tätigkeit empfunden", empfiehlt Christine Kranz. "Zur Not reichen dafür auch fünf Minuten, am besten natürlich abends, vor dem Schlafengehen." Denn das Wichtigste, was Eltern ihren Kindern schenken können, ist Zeit und liebevolle Zuwendung. Auf diese Weise stärken Eltern nicht nur ihre Beziehung zu den Kindern, sondern sie erfahren beim Vorlesen auch viel über die Kleinen, ihre Wünsche oder Ängste, da sie viel neben bei erzählen, wenn ihre Eltern aus einer Geschichte vorlesen. Gelungen ist es, wenn Eltern eine vertraute und kuschelige Atmosphäre zum Vorlesen schaffen, eine kleine Oase im Alltag sozusagen, die die Kinder mit dem Gefühl der Geborgenheit verbinden. So werden sie später von ganz allein mit positiven Emotionen zu Büchern greifen.

Väter einbeziehen

Außerdem ist es wichtig, bei der Auswahl der Bücher auf die Interessen der Kinder zu achten und nicht darauf, was man selbst gut findet oder die Nachbarskinder gerade lesen. "Das gute Kinderbuch gibt es nicht", meint die Lese-Expertin, sondern nur das richtige Buch für ein bestimmtes Kind. Dabei kommt es sehr auf das Interesse und das Leseniveau an." Ratsam ist es zum Beispiel, mit den Kindern die örtliche Bibliothek zu besuchen und den Nachwuchs aussuchen zu lassen, was ihm gefällt und die ausgewählten Bücher auszuleihen. Eltern sollten dabei keinesfalls vor knallig, beispielsweise mit TV-Bildern aufgemachten Titeln zurückschrecken. "Auch das ist Lesestoff – selbst wenn er nicht unbedingt unserem Geschmack entspricht. Entscheidend ist der Lesespaß des Kindes."

Eine Auswahl geeigneter Literatur erhalten Eltern und Interessierte beim Leipziger Lesekompass, der einmal im Jahr eine Orientierungshilfe für die Auswahl geeigneter Kinder- und Jugendbücher bietet. "Bei Jungs sollten die Väter in Buchauswahl und Vorlesen einbezogen werden", rät Christine Kranz von der Stiftung Lesen. In dem bundesweiten Projekt "Mein Papa liest vor!" will die Stiftung insbesondere Väter zum Vorlesen ihrer Kinder motivieren. "Wenn das immer nur die Mutter macht", so die Expertin, "setzt sich oft im Kopf fest, Lesen sei, Mädchenkram."

Schlüssel zur Bildung

Die Lesekompetenz jedoch, die sowohl die Lesefertigkeit umfasst als auch das Verstehen von Sinn, Struktur und Spannungsbogen eines Textes, ist auch ein wichtiger Schritt zu Sprach- und Schreibkompetenz und damit ein entscheidender Schlüssel zur Bildung überhaupt. Jeder fünfte Schüler in Deutschland ist ein schwacher Leser und kann Texte nicht ausreichend verstehen, heißt es im Bildungsbericht 2012. So gehörten 20 % der Jugendlichen zu den Bildungsverlierern, denen nicht der direkte Übergang in die Berufsausbildung gelinge. Doch neben dem Lesen als Schlüsselkompetenz für Bildung und damit ausreichenden Chancen, sich für den Arbeitsmarkt zu qualifizieren, bleibt diesen Kindern und Jugendlichen der Zugang zu Freude und Spaß, die Bücher machen, verwehrt.

So bringen Sie Ihr Kind ans Buch

  • Führen Sie ein tägliches Vorleseritual ein.
  • Kochen oder backen Sie gemeinsam und lassen das Kind die Rezepte vorlesen.
  • Bieten Sie Literatur mit verschiedenen Medien an, als App, Comic, Hörbuch oder klassisches Buch.
  • Lesen Sie Ihrem Kind bis zu einer spannenden Stelle vor, so dass es Lust hat, selbst weiter zu lesen.
  • Führen Sie Ihre Kinder an Buchreihen heran - dann fällt der Einstieg leichter.
  • Die Lieblingsbücher Ihrer Kinder sollten Sie zuhause haben.
  • Richten Sie einen Rückzugsort zum Lesen für Ihr Kind ein, mit eigenem Bücherregal und Leselampe.
  • Schalten Sie Fernsehen und Radio aus.
  • Seien Sie Vorbild und lesen Sie im Alltag.

Quellen & Infos: mutter-kind-magazin.de / Ute F. Wegner / stiftunglesen.de / sueddeutsche.de / lesestart.de / leipziger-lesekompass.de

Bildquelle: © Simone Peter / pixelio.de

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