Gedenkort Arbeitserziehungslager Nordmark: Erinnerung an ein dunkles Kapitel
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Am Stadtrand von Kiel erinnert heute ein Gedenkort an das Arbeitserziehungslager Nordmark. Die Gestapo betrieb das Straflager von Juni 1944 bis zum 4. Mai 1945. Insgesamt 5.000 Menschen waren dort inhaftiert. 600 von ihnen überlebten die Haft nicht.

Errichtung des Lagers durch Zwangsarbeit
Fritz Schmidt leitete die schleswig-holsteinische Gestapo. Der Regierungsrat und SS-Sturmbannführer stellte 1944 den Antrag zur Errichtung des Lagers. Die Bauarbeiten begannen im Mai 1944 an der Rendsburger Landstraße. Die Nord-Süd-Bau GmbH und das Unternehmen G. Schlüter aus Preetz führten die Arbeiten aus. Sie stellten nur die Facharbeiter. Häftlinge der Gestapo aus der Polizeibaracke "Drachensee" im Stadtteil Hassee mussten als Hilfsarbeiter schuften.
Kriminalkommissar und SS-Sturmbannführer Johannes Post wurde Kommandant des Lagers. Unter seiner Führung entstanden über 20 Baracken. Die Anlage umfasste Unterkünfte für Häftlinge und Wachmannschaften, Verwaltungsbaracken, Lagerschuppen, eine Küche, zwei Wachtürme und ein Gästehaus für die SS. Der gefürchtetste Ort war der halb unterirdische Arrestbunker aus Beton, der 48 völlig dunkle Einzelzellen hatte.
Unmenschliche Haftbedingungen
Die ersten Baracken waren Ende Juli 1944 bezugsfertig. Die Häftlinge mussten ihre Wertsachen abgeben und ihre Kleidung gegen Lagerkleidung tauschen. Später kennzeichnete man sie einfach mit roten Kreuzen auf ihrer Zivilkleidung. Die ungeheizten Baracken waren für je 200 Personen vorgesehen und die Gefangenen schliefen auf nackten Brettern in doppelstöckigen Holzgestellen. Zudem bekam jeder nur eine Wolldecke.
Die Ernährung bestand aus einem Becher Ersatzkaffee, etwas trockenem Brot und einer dünnen Suppe pro Tag. Als Toiletten dienten offene Kübel in den Baracken oder einige wenige Latrinen. Die Waschräume wurden nie fertiggestellt.
Eine Krankenbaracke war eingerichtet worden. Ein zwangsverpflichteter Arzt aus Hassee, ein russischer Häftlingsarzt, eine Krankenschwester und der dänische Sanitäter Orla Eigil Jensen arbeiteten dort. Die medizinische Versorgung war völlig unzureichend. Die Krankenbaracke war ständig überfüllt. Schwerkranke liefen Gefahr, durch den Sanitäter Jensen getötet zu werden.
Zehn Stunden Zwangsarbeit täglich
Der Arbeitstag begann um 5.00 Uhr morgens. Die Häftlinge mussten getrennt nach Deutschen und Ausländern zum Appell antreten. Der stellvertretende Lagerkommandant teilte die Arbeitskommandos ein. Zehn Stunden lang verrichteten die Gefangenen schwerste Arbeiten.
Im Lager bauten sie neue Baracken und planierten Wege. Sie schaufelten in der Kiesgrube bis zur völligen Erschöpfung. Außerhalb des Lagers setzten die SS sie beim Bunkerbau in Schulensee und am Schützenwall ein. Sie räumten Trümmer im zerbombten Kiel und bargen Blindgänger.
Kieler Unternehmen nutzten die billigen Arbeitskräfte: Die Holsten-Brauerei, die Land- und See-Leichtbau GmbH, das Betonbauunternehmen Ohle & Lovisa und die Nordland Fisch-Fabrik in Hassee profitierten von der Zwangsarbeit. Die SS schlug, misshandelte oder erschoss Häftlinge willkürlich. Fluchtversuche endeten fast immer tödlich. Erst Ende April 1945 gelang einigen Häftlingen die Flucht.
Massenmorde in den letzten Kriegstagen

Mitte April 1945 befanden sich etwa 900 Gefangene im Lager. Durch Evakuierungsmärsche aus anderen Haftstätten verdoppelte sich die Zahl innerhalb von zwei Tagen auf 1.800 Häftlinge. Unter den Neuzugängen waren deutsche Juden aus dem Ghetto Riga und Gefangene aus dem KZ-Außenlager Hamburg-Fuhlsbüttel.
Die Gestapo ermordete in den letzten zwei Wochen vor Kriegsende etwa 300 Menschen. Die Opfer wurden in Massengräbern verscharrt. Am 2. und 3. Mai 1945 flohen die Wachmannschaften Richtung Dänemark. Sie vernichteten vorher belastende Akten. Am 4. Mai 1945 befreiten britische Truppen das Lager. Sie fanden mehrere hundert völlig verdreckte, kranke und halb verhungerte Gefangene vor.
Gerichtliche Aufarbeitung nach dem Krieg
Im Herbst 1947 führte die britische Besatzungsmacht vier Militärgerichtsprozesse durch. Diese liefen unter dem Namen "Kiel-Hassee-Cases". Lagerkommandant Post wurde wegen der Erschießung von Royal-Air-Force-Piloten zum Tode verurteilt und gehängt. Sein Stellvertreter Otto Baumann wurde ebenfalls hingerichtet.
Der Lagersanitäter Jensen erhielt die Todesstrafe wegen der Ermordung Schwerkranker. Das dänische Königshaus intervenierte bei der britischen Regierung. Die Strafe wurde in lebenslange Haft umgewandelt. Jensen kam später vorzeitig frei. Weitere Verurteilte erhielten bis zu 20 Jahre Haft. Sie wurden spätestens nach zehn Jahren entlassen.
Der Hauptverantwortliche Fritz Schmidt konnte erst im Dezember 1963 gefasst werden. Er stritt jedes Wissen ab. Die Kieler Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren ein. Das Landgericht Kiel verurteilte ihn für Beihilfe zum Mord an vier Luftwaffenoffizieren zu zwei Jahren Zuchthaus. Die Untersuchungshaft galt die Strafe ab.
Späte Erinnerung und heutiger Gedenkort
Nach Kriegsende dienten die Baracken als Unterkunft für Displaced Persons. Ab November 1948 lebten dort Flüchtlinge und Vertriebene. Anfang der 1960er Jahre wurde das Gelände nicht mehr benötigt. Die Baracken wurden abgerissen. Gewerbebetriebe siedelten sich an.
Die Stadt Kiel tat sich schwer mit der Aufarbeitung. Erst am 17. Juni 1971 stellte sie einen Gedenkstein an der Ecke Rendsburger Landstraße/Seekoppelweg auf. Anfang der 1980er Jahre entstanden Geschichtswerkstätten. Der "Arbeitskreis Asche-Prozess" legte 1982 die Grundmauern des ehemaligen SS-Gästehauses frei.
Im November 2000 fand man auf dem Gelände einen Gedenkstein. Polnische Zwangsarbeiter hatten ihn 1946 für die Opfer des Faschismus aufgestellt. Der Arbeitskreis zur Erforschung des Nationalsozialismus in Schleswig-Holstein (AKENS) gestaltete daraufhin einen neuen Gedenkort.
Seit dem 4. Mai 2003 steht dort eine Gedenkstele. Sie besteht aus dem Grundstein des alten polnischen Gedenksteins und einer modernen Stele. Darauf stehen dreizehn Namen von Ermordeten aus unterschiedlichen Nationen. Sie stehen stellvertretend für alle Opfer. Drei Informationstafeln informieren mit Text und Bild über die Geschichte des Ortes. In der Nähe sind noch Fundamentreste des SS-Gästehauses sichtbar. Der AKENS hatte sie 1989 freigelegt.
Seit 2023 heißt die nächstliegende Bushaltestelle darüber hinaus "Gedenkort am Russee", um auf das ehemalige Lager hinzuweisen.